Zirkuläres Bauen in die Praxis bringen
Kreislaufwirtschaft als Ziel
Die Baubranche ist im Umbruch. Klimaneutralität und Ressourcenschonung gewinnen immer mehr an Bedeutung. Ziel ist der Wandelhin zu gesünderen, nachhaltigeren Gebäuden und dies sowohl im ökologischen als auch ökonomischen sowie im gesellschaftlichen Sinn. Hier kommt der Circular-Economy-Gedanke ins Spiel: Dank geschlossenen Kreisläufen werden bestehende Materialien und Produkte so lange wie möglich genutzt und anschließend weiter-bzw. wiederverwendet. Auf diese Weise werden Abfälle reduziert, der Lebenszyklus verlängert und so auch Investitionen von Bauherren, Geldgeber und Mieter langfristig gesichert und im Wert gesteigert.
Wege des zirkulären Bauens
Hierzu unterscheiden wir zwischen vierverschiedenen Wegen der Zirkularität:
Wiederverwendung: Hier wird das Ausgangsprodukt demontiert und ohne Aufbereitung direktwiederverwendet. Das Bauprodukt kann entweder im gleichen oder in einem anderen Gebäude eingesetzt werden. Das höchste Potential an ökologischer sowie ökonomischer Wertschöpfung und Qualität. Die direkte Wiederverwendung ist die Kür des zirkulären Bauens.
Weiterverwendung: Nach einem zerstörungsfreien Rückbau gelangt das Ausgangsprodukt bzw. dessen Komponenten wieder in die Produktion: Anschließend werden die Komponentenaufbereitet und dienen dann entweder dem ursprünglichen oder einem neuen Verwendungszweck.
Verwertung: Das Ausgangsprodukt wird in seiner Gestalt aufgelöst und die hierbei separierten Materialien werden erneut in den Produktionsprozess eingebunden. Die Materialien werden dem gleichen oder einem neuen Nutzungszweck zugeführt.
Recycling: Nach einem selektiven Abriss werden Produkte in ihre kompletten Gestaltenaufgelöst. Die Materialien gelangen nicht mehr direkt in den Produktionsprozess, sondern in einen externen Recyclingkreislauf. Bei der Herstellung von Produkten wird kontinuierlich der Anteil von Recycling-Material(RC-Material) gesteigert. Das Recycling bringt meistens geringere Qualität und Werte und benötigt viel Energie.
Decke, Boden, Wand und Türen als 2nd Use
Ein Musterbeispiel für gelebte Zirkularität sind die Lindner Doppelbodenplatten. Am Ende der Nutzung werden die Platten fachgerecht demontiert und ins Lindner Werk zur Überprüfung und Aufbereitung geliefert. Anschließend stehen sie als Sekundärprodukt für weitere Projekte zur Verfügung. Die aufbereiteten Platten stehen dabei neuen in nichts nach. Im Gegenteil, die gleichen bauphysikalischen Eigenschaften hinsichtlich Statik, Brand- und Schallschutz, werden durch eine um 75 %verbesserte CO2 Bilanz ergänzt.
Der Wiederverwendungsansatz wird bei Lindner ebenso für Trennwand- und Deckensysteme sowie Holztüren verfolgt. Ausschlaggebend hierfür ist ein modulares, zirkulär gedachtes Produktdesign: Einheitliche Abmessungen schaffen die Basis und machen die Systeme austauschfähig. Individuelle Anpassungen an neue Einbausituationen lassen sich beispielsweisedurch Oberblenden/-lichter oder Fugen und Gipskartonfriesen realisieren. Am Ende des Lebenszyklus als Produkt können die Materialien sortenrein getrennt, recycelt und in den Materialkreislauf zurückgeführt werden.
Vom Planspiel zur Praxis: Forschungsprojekt für ressourceneffiziente Produktkreisläufe und neue Geschäftsmodelle
Im Rahmen der Fördermaßnahme ResiProK (Ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft – Innovative Produktkreisläufe) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und dem Projekt „RessProKa“* ging Lindner gemeinsam mit verschiedenen Partnern der Frage nach: „Wie können Bauprodukte in Gewerberäume möglichst lange im Kreislauf gehalten werden?“ Die Antwort fand sich in neuen Miet-und Rücknahmemodellen für Systemprodukte für Decke, Wand und Boden. *„RessProKa“ steht für „Schließung von ressourceneffizienten Produktkreisläufen im Ausbaugewerbe durch neue Geschäftsmodelle“
Start des Forschungsprojekts war bereits im Juli 2019. Als aktive Partner beteiligten sich:
- die Fachhochschule Münster mit dem Institut für Infrastruktur-Wasser-Ressourcen-Umwelt (IWARU) unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Sabine Flamme (Arbeitsgruppe. Ressourcen),
- das Betriebswirtschaftliche Institut für Abfall-und Umweltstudien (BIFAS) sowie
- die Lindner Group mit der Fachabteilung Green Building und den Geschäftsbereichen Boden, Decke und Wand.
Die Herausforderung: 10 vs. 50 Jahre
Die Ausgangs- bzw. Problemlage kann so beschrieben werden: Stetig wandelnde Nutzerbedürfnisse sowie Mieterwechsel führen zu häufigen Umbauten von Gewerberäumen in kurzen Zeitabständen, oftmals in weniger als zehn Jahren. Dabei verfügen die verwendeten Bauprodukte und Materialien über eine weitaus längere technische „Lebenszeit“. Bei einer NORTEC Doppelbodenplatte gehen wir eher von 50 Jahren und mehr aus. Hier war der Anspruch, eine Lösung zu finden, die dieser Verschwendung entgegenwirkt und das komplette Wertschöpfungspotenzial nutzt.
Ablauf des Forschungsprojekts:
Zunächst wurden verschiedene Arbeitspakete definiert: beginnend mit einer Beschreibung der technischen, kaufmännischen sowie rechtlichen Ausgangssituation, gefolgt von einer detaillierten Analyse bzw. Bewertung sowie Optimierungsansätze als drittes Arbeitspaket. Dann ging es mit verschiedenen Planspielen „in medias res“. Hierfür wurden Arbeitsgruppengebildet und in Workshops, u. a. am Lindner Hauptsitz im niederbayerischen Arnstorf, unterschiedliche Geschäftsmodelle durchdacht und diskutiert. Für eine umfängliche Betrachtung und verschiedene Sichtweisen luden wir langjährige Kunden und Partner zu digitalen Workshops ein, u. a.:
- die Momeni Group mit dem Dreischeibenhaus in Düsseldorf
- GMP Architekten mit dem Interimsgebäude der Staatsbibliothek Berlin sowie
- Drees & Sommer/EPEA mit der Sanierung des Telegraphenbauamts, ebenfalls in Berlin
Anschließend galt es, Handlungsanweisungen und Umsetzungsstrategien für weitere Bauprodukte und Lieferprojekte im In- und Auslandzu transferieren.
Vor allem in den Planspielen konnten konkrete Szenarien und Kundeninteressen definiert werden. Unter anderem die Frage „Wer übernimmt die Haftung bzw. Produktverantwortung bei gebrauchten Produkten?“.
Die Ergebnisse:
Gemeinsam mit unseren Projektpartnern entwickelten wir einen gesamtheitlichen Lösungsansatz und nutzen hier den Lindner Vorteil „Alles aus einer Hand“: Denn während bisher die einzelnen Gewerke als Einzellösungen betrachtet wurden, wird der Innenraum nun als Einheit mit verschiedenen modularen Elementen angesehen. Bei einem Mieterwechsel sollen somit im Idealfall die Systemprodukte direkt im Gebäude verbleiben, es folgt lediglich eine neue Anordnung nach den Vorstellungen der Architekten und Gebäudebetreibern. Dadurch wird weder Energie für den Transport noch für die Entsorgung und Herstellung neuer Bauprodukte aufgewendet, besser gesagt verschwendet (Wiederverwendung). Ist dies nicht möglich, werden die Produktezurückgenommen, überprüft und aufbereitet, um anschließend in einem anderen Gebäude verbaut zu werden (Weiterverwendung). Hier kommen neue Geschäftsmodelle von Lindner zur Anwendung, wie eine Rückgabepflicht, ein Rückgaberecht oderverschiedene Mietsysteme.
Als Bauingenieur sammelte Marcel Gröpler jahrelang Erfahrungim Baustellen-Controlling und in der Bauleitung. Seit 2011 leitet er die FachabteilungGreen Building der Lindner Group. Neben Green Building Management ist die Ökobilanzierungvon Produkten und Produktion Hauptaufgabe. Ein wichtiger Baustein hierfür istdie Kreislauffähigkeit der Produkte und Materialien inklusive erfolgreicher Zertifizierungennach Cradle to Cradle Certified® Produktstandard. Neue Geschäftsmodelle für dieSchließung der Material- und Produktkreisläufe sind die Aufgabe der Gegenwart.
Die Lindner Group ist führender Komplettanbieter für Innenausbau, Gebäudehüllen und Isoliertechnik. Mit 55 Jahren Erfahrung steht das Familienunternehmen für „Bauen mit neuen Lösungen“, für Entwicklung und Ausführung von flexiblen und fortschrittlichen Produkt- und Projektlösungen, die Mehrwert schaffen – für Mensch und Umwelt.