Was bedeutet die Zinswende für Digital Real Estate?

Geschrieben von
Dr. Christian Weis,
Amélie Dannenmann
Veröffentlicht am
Jun 7, 2023

Was bedeutet die Zinswende für Digital Real Estate? 

Eingebrochene Transaktionsvolumina, gestoppte Projekte, Katerstimmung: Die Zinswende führt dazu, dass im gewerblichen und auch wohnwirtschaftlichen Investmentmarkt seit einigen Monaten große Unsicherheit herrscht.

 

Ob sich die Immobilienbranche auf ein Ende ihres lange erfolgreichen Marktzyklus einstellen muss, werden die kommenden Monate zeigen. Je nachdem, welches neue Zinsniveau sich einpendelt und wie sich die Marktpreise und Vergleichswerte für Immobilien entwickeln.

 

Gerade in unsicheren Zeiten neigen Unternehmen dazu, sich auf das Bewährte und Altbekannte zu konzentrieren. Bedeutet die Zinswende also das Aus für wichtige Zukunftsthemen wie die digitale Transformation der Immobilienwirtschaft, kurz: Digital Real Estate? Wir meinen: Für Digital Real Estate ist die Zinswende Fluch und Segen zugleich.

 

 

Wie wirken sich steigende Zinsen auf die Immobilienwirtschaft aus?

 

Dieser Frage bin ich 2021 gemeinsam mit Forscher-Kollegen von der IREBS nachgegangen - also kurz vor Anstieg der Inflation und noch vor den Zinserhöhungen der Zentralbanken. Die Studie “Which stocks are driven by which interest rates?“ ist im Journal of Property Research publiziert.

 

Kurz zusammengefasst: Die Immobilienwirtschaft reagiert, anders als andere Branchen, besonders sensitiv auf Zinsänderungen, denn diese wirken sich auf mehreren Ebenen schlagend aus:

 

●      auf der Kapitalmarktebene,

●      der Unternehmensebene,

●      sowie auf der Immobilienebene.

 

Auf die Kapitalmarktebene trifft das Stichwort “relative Attraktivität” von Anlageklassen zu. Wenn Anleihen oder Festzinsanlagen wieder höher verzinst sind, schichten Investorinnen und Investoren ihr Kapital zu Ungunsten von Immobilien oder Immobilienaktien um.

 

Auf der Unternehmensebene steigen die Kapitalkosten, was die Rentabilität des Unternehmens unter Druck bringt.

 

Und auf der Immobilienebene führen steigende Zinsen zur Erhöhung des Kapitalisierungszinses und damit potenziell zu einer Verringerung des Immobilienwertes. So viel zur Theorie.

 

Steigen Zinsen sehr schnell an, führt dies zu großer Unsicherheit am Markt. Das Transaktionsgeschäft kommt zum Erliegen, bis der Markt abschätzen kann, wie es weitergeht. Vorboten sind oft stark fallende Aktienkurse von Immobilienunternehmen, wie wir es seit einiger Zeit beobachten.

 

Traditionelle Geschäftsmodelle unter Druck 

 

Eines ist klar: Der Zinsanstieg belastet die traditionellen Geschäftsmodelle der Immobilienwirtschaft. Insbesondere das Transaktionsgeschäft, transaktionsnahe Beratung, das Capital Fundraising und das Maklerwesen haben mit einem Rückgang des Geschäfts zu kämpfen.

 

Nachgelagert könnten dann noch Fonds- und Asset Management leiden. Denn es zeichnet sich ab, dass Investorinnen und Investoren zumindest mittelfristig ihre Immobilienquoten wieder reduzieren werden, wenn das Zinsniveau weiter steigt und auf relativ hohem Niveau verbleiben sollte.

 

Was hat nun die digitale Transformation damit zu tun? 

 

Was die Zinswende konkret für Digital Real Estate bedeutet, möchten wir an nachfolgendem Entwicklungsstufenmodell kurz erklären.

 

Unser Stufenmodell teilt die digitale Transformation der Immobilienwirtschaft in vier aufeinander aufbauende Entwicklungsstufen ein:

 

Stufenmodellfür Digital Real Estate

Stufe 1: Datenklarkheit - Daten als “Basis von allem” 

Daten sind der Kern der Digitalisierung. Daten sind die Entscheidungsbasis und Grundlage für digitale Geschäftsmodelle, denn sie ermöglichen es z.B. Kundenpräferenzen und -verhalten abzuleiten.

 

Auch bilden Daten die Grundlage für die Anwendung von Technologien wie Künstliche Intelligenz. Das “Anfüttern” dieser Technologien kann nur mit verfügbaren Daten gelingen.

 

Die meisten Immobilienunternehmen haben dies in den letzten Jahren verstanden und in Projekte investiert. Allerdings muss man sich bewusst darüber sein, dass Daten selten statisch sind. Wie wahr sind meine Markt- und Gebäudedaten nach der Zinswende noch? Wie gut halten meine Prognose-Modelle? Haben diese einen solchen Zinsanstieg überhaupt vorhergesagt? Muss ich mühsame Transformationsprojekte der Vergangenheit einer Revision unterziehen? Dies gilt auch für das äußerst relevante Thema ESG, das durch umfangreiche Regulatorik zusätzlichen Druck auf Immobilienunternehmen auslöst.

 

Stufe 2: Effizienz durch digitale Prozesse 

 

Idealerweise trägt die Digitalisierung von Prozessen im Unternehmen dazu bei, dass Ressourcen effizienter eingesetzt werden.

 

Die Folge: Unternehmen werden resilienter, denn gestiegene Kosten für Energie, Fremdkapital und auch Personal bringen deren Geschäftsmodelle nicht mehr unmittelbar in Gefahr.


Allerdings wissen wir selbst aus unseren Beratungsprojekten (z.B. zu ERP-Systemen oder der Vertriebsautomatisierung im Banking), wie herausfordernd und langwierig die Optimierung und Automatisierung von Prozessen in etablierten Unternehmen sein kann.

 

Unsere Erfahrung zeigt auch: Digital-Projekte sind teuer. Schon die reine Datenerfassung ist zeitaufwendig und oft nicht zielgerichtet. Nutzen und Zweck der erhobenen Daten müssen klar definiert sein. Teils werden auch längst automatisierte Arbeitsschritte von Mitarbeitenden weiterhin manuell erledigt – sei es aus Beharrlichkeit, Gewohnheit, oder, weil man dem automatisierten Prozess “nicht so ganz” traut.

 

Wenn in Krisenzeiten Budgets unter Druck geraten, neigen Unternehmen dazu, Digital-Projekte wieder einzustellen oder zu pausieren. Dabei wäre genau das Gegenteil wünschenswert: Nämlich jetzt die Chance zu ergreifen, unter Druck geratene Geschäftsmodelle resilienter zu machen - z.B., indem lang aufgeschobene Automatisierungsprojekte in Angriff genommen werden.

 

Stufe 3: Digitale Geschäftsmodelle 

Bei der digitalen Transformation geht es unserer Auffassung nach nicht primär um die Prozessdigitalisierung, sondern um die Entwicklung von neuen digitalen Geschäftsmodellen. Verharren Unternehmen auf der reinen Digitalisierung von Prozessen, birgt dies oftmals die Gefahr von “altem Wein in neuen (digitalen) Schläuchen".

 

Reine Optimierungen von Produkten oder Dienstleistungen interessieren Kundinnen und Kunden in den meisten Fällen wenig. In Wahrheit sind sie auf der Suche nach Lösungen für ihre Bedürfnisse.

 

Nur Unternehmen, die künftig die Lösung für konkrete Kundenbedürfnisse bieten, bleiben langfristig im Rennen. Denn eines ist sicher: Wird ein bestimmtes Kundenproblem nicht gelöst, kommt ein neuer Anbieter auf den Markt und definiert einen neuen Marktstandard. Oft mit Hilfe von digitalen Technologien oder digitalen Geschäftsmodellen.

 

 

Wichtig bei der Entwicklung von Geschäftsmodellinnovationen ist die sogenannte “kreative Zuversicht” (der Begriff geht auf die Innovations- und Designagentur IDEO zurück). Im Kern besteht die kreative Zuversicht aus der persönlichen Überzeugung, dass man die Fähigkeit hat, die Welt um sich herum zu verändern.

 

Zugegebenermaßen ist es gar nicht so einfach, die kreative Zuversicht inmitten aktueller Polykrisen und Unsicherheiten zu bewahren. Die gute Nachricht: Die sogenannte “creative confidence” lässt sich trainieren wie ein Muskel. Eine wissenschaftlich belegte Methode zur Steigerung der Kreativität ist beispielsweise Shinrin-Yoku (“Waldbaden”). Denn Aufenthalte im Grünen lösen beim Menschen eine positive Grundstimmung aus: ein guter Nährboden für die gerade so dringend benötigte Kreativität.

 

 

Stufe 4: Digitale Ökosysteme 

 

Ein Grundprinzip von digitalen Ökosystemen: Verschiedene Akteure im Ökosystem maximieren den Nutzen für Kundinnen und Kunden. Durch alle am Ökosystem beteiligten Partner kann man in Summe den Kunden ein besseres Angebot machen, als es die einzelnen Partner je schaffen würden. 

Digitale Ökosysteme

Was kann die Immobilienwirtschaft nun tun? 

1.    Investitionen in Digitales keinesfalls reduzieren, eher aufstocken 

 

Im Kern gilt es die Digitalisierung als Chance zu begreifen. Auch wenn dieser Satz an Abgedroschenheit nicht mehr zu überbieten ist, bleibt er doch wahr. Das heißt, Budgets für Digitalmaßnahmen sollten keinesfalls gekürzt werden, auch wenn Unternehmen aktuell Ihre Gewinnerwartungen reduzieren. Es gilt nun, stoisch mit begonnenen Maßnahmen weiterzumachen und im Gegenteil, die Investitionen zu erhöhen!  

 

2.    Digitale Geschäftsmodelle weiterentwickeln

Daten, digitale Prozesse und in der Vollendung neue digitale Geschäftsmodelle sind nicht nur ein schönes Gimmick, sondern können schlichtweg notwendig sein, um die eigenen Umsätze zu diversifizieren. Damit das Geschäftsmodell von Künstlicher Intelligenz nicht bedroht wird, gilt es diese zu nutzen und auf Basis von Technologien neue kreative Ideen zu entwickeln. Dazu braucht es kreative Zuversicht und digitale Bildung. 

 

3.    Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern und fordern 

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die wertvollste und direkt greifbare Ressource für die Entwicklung und Umsetzung digitaler Maßnahmen. Allerdings entstehen Geschäftsmodellinnovationen nicht im luftleeren Raum: Informationen und Wissen sind für alle Beteiligten wichtig, um einen kreativen Beitrag leisten zu können. Denn durch die Verknüpfung von Wissen erhöhen sich die Chancen extrem, erfolgreiche Innovationen hervorzubringen.

 

Micro-Learning ist eine gute Möglichkeit, komplexe Themen in den Köpfen von Mitarbeitenden zu verankern. Auf Basis dieses innovativen Lernformats haben wir die Wissensplattform “BUILD digital” entwickelt, die Immobilien-Professionals zielgerichtet und effizient in die wichtigsten Trends und Themen rund um das Thema Digital Real Estate einführt. BUILD besteht aus 5 Bausteinen, die jeweils 5 bis 10 kurze Lernvideos enthalten - sogenannte Microlearning-Sessions. Jedes Lernvideo bringt Klarheit über die wichtigsten Buzzwords, beleuchtet Technologien und gibt Ihnen Tools zur Gestaltung des digitalen Wandels an die Hand. Alles in verständlicher Sprache und auf den Punkt gebracht. Unser Ziel: Durch wirksame Weiterbildung das Thema Digital Real Estate fest in den Köpfen der Branche zu verankern.

DieVorteile von Micro-Learning

Fazit 

 

Für Digital Real Estate kann die Zinswende Fluch und Segen zugleich sein.

 

Segen, da das Ende der “fetten Jahre” nun wirklich ernsthaft den Druck erhöht, durch digitale Maßnahmen und digitale Geschäftsmodelle innovativer und effizienter zu werden. Zeitliche Freiräume können für Weiterbildungsmaßnahmen genutzt werden, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fit für die digitale Zukunft zu machen.

 

Fluch, weil in Krisenzeiten Projektbudgets in der Regel erst einmal zur Disposition stehen. Sinken die Ertragserwartungen, werden Projektbudgets gerne geschoben oder ganz gestrichen. Auch können Krisen und Zukunftsängste bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die kreative Zuversicht schwinden lassen. Innovative Methoden wie Natur-nahe Workshops können hier Abhilfe schaffen. 

Über
Dr. Christian Weis,
Amélie Dannenmann

Über Dr.Christian Weis

Dr.  Christian Weis ist Co-Founder von BUILD digital, der Wissensplattform für  Digital Real Estate. Neben seiner Beratertätigkeit ist er Dozent an IREBS  & EBS sowie Forscher zum Thema Real Estate Investment & Finance und  Digitale Transformation. Er betrachtet das Thema Digital Real Estate damit  nicht nur aus der digitalen Perspektive, sondern nimmt auch die Sicht der  Immobilienwirtschaft ein.

Über Amélie Dannenmann

Amélie Dannenmann ist Co-Founderin von BUILD digital, der Wissensplattform für DigitalReal Estate. Sie kennt die Herausforderungen von digitalen Transformationsprojekten aus der Praxis, unter anderem aus ihrer Tätigkeit als Product Owner für ein Startup sowie aus ihrer Beratungstätigkeit für diverse Digitalprojekte. Ihr Schwerpunkt liegt auf der nutzerzentrierten Produkt- und Geschäftsmodellentwicklung mit Design Thinking.

Über
BUILD digital

BUILD digital ist eine Wissensplattform rund um das Thema Digital Real Estate. Unser Ziel: Durch wirksame Weiterbildung für die digitale Transformation der Immobilienwirtschaft zu begeistern und diese fest in den Köpfen der Branche zu verankern.

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