Level up Circularity – Wie steht es um die Kreislaufwirtschaft in der Immobilienbranche?
Level up Circularity – Wie steht es um die Kreislaufwirtschaft in der Immobilienbranche?
Die Immobilienwirtschaft ist einer der größten Wirtschaftszweige der Welt und hat ein massives Nachhaltigkeitsproblem. Während andere Branchen Themen wie Kreislaufwirtschaft und Materialverwertung schon seit Jahren routiniert betreiben, hinkt die Immobilienbranche hinterher. Dr. Patrick Bergmann verrät uns, wo die deutsche Immobilienwirtschaft steht und von welchen Ländern wir lernen können.
Wir erleben es im Alltag oft selbst — schnell greifen wir zu Wegwerfprodukten: Vom Kaffeebecher über die Plastiktüte bis zum Einwegrasierer ist alles dabei. Über die wahrhaften Konsequenzen dieser Produkte wird viel zu wenig nachgedacht. Berge von Abfall werden durch dieses Verhalten produziert und es kommen jährlich mehr dazu. Im Jahr 2018 veröffentlichte die Weltbank in Washington den Bericht „What a Waste 2.0“. In diesem wird davon ausgegangen, dass das momentane Abfallaufkommen weltweit rund zwei Milliarden Tonnen entspricht – Tendenz steigend. Dafür sprechen die wachsenden Bevölkerungszahlen sowie die zunehmende Urbanisierung und der westliche Lebensstandard. Bis zum Jahr 2050 rechnet man mit rund 3,4 Milliarden Tonnen. Ein Drittel davon produzieren die sogenannten „hoch entwickelten Länder“ wie die Schweiz, die Niederlande oder Schweden, die gleichzeitig nur rund 16 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Die jedes Jahr steigende Menge dieses Abfalls stellt uns alle vor große Probleme. Hinzu kommen andere globale Herausforderungen wie der Klimawandel und die drohende Ressourcenknappheit.
Doch wie können wir sinnvoller mit Rohstoffen und Materialien umgehen und diese nachhaltig verwerten? Die Antwort liegt auf der Hand: Durch eine gut durchdachte Kreislaufwirtschaft, in welcher die weggeworfenen Produkte und Materialien wiederverwendet werden. Einige Branchen haben den Puls der Zeit bereits erkannt und Methoden zur Kreislaufwirtschaft in ihren Arbeitsalltag integriert, wie zum Beispiel die Textilbranche. Hier werden Recyclingprogramme für Kunden angeboten, bei denen sie aussortierte Kleidungstücke in den Filialen gegen Gutscheine eintauschen können. Im Anschluss werden die Textilien begutachtet und das, was nicht Second Hand verkauft oder anderweitig wiederverwendet werden kann, wird geschreddert, damit die Fasern für die Produktion von neuer Mode verwendet werden können. Andere Branchen bekommen die Umsetzung des Themas Kreislaufwirtschaft jedoch nicht so gut hin.
Eine Branche bildet das klare Schlusslicht hinsichtlich des prozentualen Abfallaufkommens und des Umgangs mit Ressourcen in Sachen Nachhaltigkeit in Deutschland: Die Immobilienwirtschaft. Die schiere Menge an Bauabfällen belief sich im Jahr 2020 bundesweit auf 229,4 Millionen Tonnen, das entspricht 55,4 Prozent des Brutto-Abfallaufkommens. Die Immobilienwirtschaft ist jedoch nicht nur hierzulande, sondern auch weltweit betrachtet einer der größten Abfallproduzenten und produziert Unmengen an Reststoffen durch Bau und Abriss, die einfach als Müll entsorgt und nicht wiederverwendet werden. Es gilt dieses Vorgehen schnellstens zu ändern, um die Immobilienbranche in Sachen Kreislaufwirtschaft und Wiederverwertung endlich auf ein angemessenes Level zu heben.
Wie die Branche durch Recycling und Kreislaufwirtschaft diesem Problem entgegenwirken kann, zeigen unter anderem die Niederlande durch nachhaltiges Bauen und der Sanierung unter dem Gesichtspunkt der Ressourcenschonung und Abfallvermeidung mit Hilfe des Cradle-to-Cradle-Prinzips.
Mit dem Cradle-to-Cradle-Prinzip zu mehr Nachhaltigkeit
Das Cradle-to-Cradle-Designprinzip wurde von dem Architekten William McDonough und dem Chemiker Michael Braungart in den 1990er Jahren entwickelt. McDonough beschäftigte sich bereits seit längerem mit dem Thema „Nachhaltigkeit in der Architektur“. Michael Braungart, der sich auf ökologische Chemie konzentrierte, waren die Vielzahl giftiger und umweltschädlicher Produktbestandteile beim Bau von Immobilien ein Dorn im Auge. Ihre gemeinsame Vision: Materialien, die auf den Einsatz giftiger und gesundheitsschädlicher Stoffe verzichten und zudem umweltfreundlich und wiederverwendbar sind
So entstand das Cradle-to-Cradle-Prinzip, welches übersetzt „von der Wiege zur Wiege“ bedeutet. In dieser idealen Vorstellung sind alle verwendeten Stoffe zu 100 Prozent zirkulär nutzbar. Abfall fällt dabei nicht mehr an, da alle Stoffe am Ende ihres jeweiligen Lebenszyklus erneut dem Stoffkreislauf zugeführt werden.
Das Prinzip dieser Kreislaufwirtschaft kann auf alle Arten von Materialien in allen Branchen angewendet werden, die Schritte sind immer gleich: Nach der Herstellung wird das Objekt der Wahl vom Verbraucher genutzt, bis ein Defekt vorliegt oder es durch eine neuere Variante ersetzt wird. Daraufhin erfolgt die Rückführung in den Stoffkreislauf. Wertstoffhöfe, Hersteller und spezialisierte Unternehmen nehmen die abgelegten Güter zurück, zerlegen sie in ihre Bestandteile und stellen diese wieder den Produzenten zur Verfügung.
Wie das C2C-Prinzip in der Immobilienwirtschaft aussehen kann, zeigen Architekten bereits erfolgreich in den Niederlanden. Hier wurde im Jahr 2016 das weltweit erste ökologische Rathaus entwickelt. Das Gebäude verfügt über ein eigenes Gewächshaus in den obersten beiden von insgesamt elf Stockwerken, das gemeinsam mit der vielfältig begrünten Nordfassade als „grüne Lunge“ und Luftfilter der Immobilie dient. Die Glasfassade im Süden sorgt für eine natürliche Aufwärmung im Winter und ist gleichzeitig so konzipiert, dass sie einer Überhitzung im Sommer vorbeugt. Für die Energiegewinnung wurden 300 Quadratmeter Solarpaneele installiert. In einem künstlich angelegten Feuchtareal im Innenhof wird das Grauwasser des Rathauses natürlich aufbereitet und zur Bewässerung sowie für die Toilettenspülung genutzt. Bereits während der Planung des Gebäudes wurden alle Informationen zu Bauteilen und Materialien in einem Materialpass erfasst.
Das Ergebnis: Das Rathaus in Venlo ist energieneutral, recycelt Regen- und Abwasser und produziert im Falle einer Sanierung oder eines Rückbaus nahezu keinen Abfall. Neben der ressourcenschonenden Bauweise, dem nachhaltigen Betrieb und der damit einhergehenden Vorreiterrolle in Sachen C2C wirkt die Immobilie dank der flächendeckenden Begrünung positiv auf die Luftqualität der Umgebung und die Biodiversität.1 2
Von diesem erfolgreichen Bauprojekt ließen sich in den folgenden Jahren Architekten und Entwickler aus ganz Europa und der Welt inspirieren. Das Prinzip fand unter anderem in Deutschland Einzug in die Architektur.3
Wie Kreislaufwirtschaft funktionieren kann, zeigen die Niederlande
In den Niederlanden wird das Thema Kreislaufwirtschaft als ein gesamtgesellschaftliches Projekt angesehen und von der Bevölkerung mitgetragen. Es wird stets versucht, vor der Verabschiedung eines Gesetzes zusammen mit verschiedenen Interessenvertretern aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Doch das allein ist nicht der Grund, weswegen die Niederlande als weltweiter Vorreiter in Sachen Zirkularität gelten. Vielmehr spielen geographische und auch wirtschaftliche Faktoren eine entscheidende Rolle: Der niederländische Boden weist nur eine geringe Menge an Rohstoffen auf, sodass ein nachhaltiger Umgang mit den knappen Reserven unabdingbar ist, dessen ist sich auch die Bevölkerung bewusst. Durch umfassende Aufklärung und Sensibilisierung wurde das Bewusstsein der Niederländer für den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen ausgeprägt und geschult und die Niederlande zu einem Vorbild in Europa – und der Welt.4
Im offiziellen Kreislaufwirtschaftspaket der niederländischen Regierung aus dem Jahr 2016 wurden strikte Ziele in Bezug auf die Zirkularität der Wirtschaft festgelegt. Mit der Vision einer Wirtschaft ohne Abfall soll bis zum Jahr 2050 eine perfekte Kreislaufwirtschaft erreicht werden und das in nahezu allen Branchen. Entscheidendes Etappenziel auf diesem Weg ist dabei das Jahr 2030: Bis zu diesem Zeitpunkt soll die Nutzung von Mineralien, fossilen Rohstoffen und Metallen im Sinne von Primärrohstoffen um die Hälfte reduziert werden. Die gesamte niederländischen Strategie fußt dabei auf drei großen Zielen:
- Rohstoffe nur in hoher Qualität einsetzen.
- Neue Rohstoffe in erster Linie durch nachhaltig hergestellte, erneuerbare und allgemein verfügbare Materialien ersetzen.
- Neue Produktionsmethoden entwickeln und bestehende Bereiche neu organisieren. Hierzu zählt auch die Förderung neuer nachhaltiger und umweltfreundlicher Konsumformen und Materialien.
Am Beispiel der Niederlande zeigt sich, wie zirkuläres Bauen und Kreislaufwirtschaft in Theorie und Praxis aussehen kann. Doch wie sieht die Situation in Deutschland aus?
Kreislaufwirtschaft in Deutschland
Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung finden sich ebenfalls Ziele zur Verbesserung der Kreislaufwirtschaft durch Senkung des primären Rohstoffbedarfs und der Einführung eines verpflichtenden Gebäuderessourcenpasses. Denn obwohl in den vergangenen 30 Jahren schon mehrere kreislaufwirtschaftliche Strukturen etabliert wurden, weist Deutschland deutliche Defizite im Management der Rohstoffströme auf. Ein Grund dafür ist die lineare Organisation nach dem Cradle-to-grave-Prinzip. Laut dem statistischen Amt der EU (Eurostat) sind lediglich 13 Prozent aller verwendeten Materialien Sekundärstoffe. Um diesen Anteil zu steigern und ressourcenschonend zu wirtschaften, entwickelt die Bundesregierung derzeit die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie, kurz NKWS. Ziel ist eine zirkuläre Wirtschaft, aktive Ressourcenschonung und damit einhergehend Klimaschutz, Reduzierung der Umweltbelastung sowie Erhalt der Biodiversität. Auf Bundeslandebene gibt es bereits erste erfolgreiche Umsetzungen.5
Der Kreis Viersen zeigt erfolgreich, wie nachhaltige Entwicklung betrieben werden kann und dass sich die. höheren Initialkosten beim Bau auf Dauer lohnen. Das zeigt der Bau des neuen Kreisarchivs. Abbruchziegel fanden beim Bau Wiederverwendung und Holz- bzw. Betonelemente wurden mittels demontierbarer Schraubverbindungen zusammengefügt. Der Rückbau kann somit rückstandlos erfolgen. Sonnenkollektoren, Photovoltaikanlagen sowie eine Wärmepumpe und ein Eisspeicher sorgen für die energetische Optimierung des Objekts. Ein ausgeklügeltes Belüftungssystem in Kombination mit dem angrenzenden Gewächshaus sorgt für optimale Luftqualität im Gebäude. Die Baukosten für das neue Kreisarchiv mögen mit 15,9 Millionen Euro sehr hoch erscheinen, aber mit Blick auf den Lebenszyklus des Gebäudes relativiert sich dieser Eindruck. Anhand der bisherigen Planung und den Informationen von Madaster, dem Materialkataster für Deutschland, weist das Projekt einen voraussichtlichen Material- bzw. Rohstoff-Restwert von rund 1,2 Millionen Euro auf.
Wir erkennen auch in Deutschland erste Veränderungen in den unterschiedlichen Sektoren und auch in der Politik rücken die Themen Ressourcenschonung, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft verstärkt in den Fokus. Jedoch können wir noch so einiges aus anderen Branchen und von unseren Nachbarländern lernen.
Seit 2020 ist Dr. Patrick BergmannGeschäftsführer der Madaster Germany GmbH. Erbeschäftigt sich schon seit ca. 10 Jahren mitnachhaltigem Bauen und Circular Real Estate.2018 schrieb er seine Dissertation zum Thema“Life Cyle Management in the Built Environment”an der Technischen Universität Dresden.Anschließend war er im Bereich Immobilien- undUnternehmensbewertung bei PwC in Berlin undBrüssel tätig.