A Material world: Wie Madaster die Kreislaufwirtschaft revolutioniert
Die Immobilienwirtschaft ist einer der größten Wirtschaftszweige Deutschlands. Angesichts des Klimawandels, den neuen Anforderungen durch ESG und einem steigenden Umweltbewusstsein in der Bevölkerung stellt sich eine Frage: Wie nachhaltig ist die Branche eigentlich? Dr. Patrick Bergmann verrät uns im Interview, wo wir stehen und worauf es in Zukunft ankommt.
Nachhaltigkeit ist auch im Jahr 2022 eines der prägenden Themen in der Immobilienwirtschaft. An Ideen für verbesserte CO2-Bilanzen und der Digitalisierung ganzer Immobilien scheitert es nicht, doch die Umsetzung fällt vielen immer noch schwer. Einer, der es sich zum Ziel gemacht hat, die Branche aktiv nachhaltig zu gestalten, ist Dr. Patrick Bergmann, Geschäftsführer bei Madaster Germany. Im Interview verrät er uns, wie die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft nicht nur der Ressourcenverknappung einen Riegel vorschiebt und CO2-Emissionen senkt, sondern sich auch finanziell für die Branche rentiert.
Lieber Patrick, die Immobilienwirtschaft scheint der einzige Wirtschaftszweig zu sein, der bislang auf Recycling verzichtet. Täuscht diese Einschätzung?
Dr. Patrick Bergmann: In der Tat wirkt es auf den ersten Blick so. Immer mehr Hersteller diverser Branchen werben gezielt mit recycelten Verpackungen oder etablieren Programme, um die Konsumenten in die eigenen Nachhaltigkeitsbestrebungen einzubeziehen. So bieten viele Textilketten inzwischen sogar an, ausrangierte Kleidung zurückzubringen, deren Fasern recycelt und wiederverwendet werden. In der Immobilienwirtschaft steckt das ganze Thema noch in den Kinderschuhen – und das, obwohl unsere Branche für mehr als die Hälfte des Abfallaufkommens in Deutschland verantwortlich ist.
Baustoffe werden immer teurer und ein wesentlicher Grund dafür ist die Verknappung von Rohstoffen. Gleichzeitig gehen weltweit immer mehr Menschen für einen nachhaltigeren Umgang mit unserer Umwelt demonstrieren. Wie schätzt du das Umdenken in der Branche ein? Gibt es das bereits?
Dr. Patrick Bergmann: In ersten Zügen ist ein Umdenken bereits zu erkennen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Nachhaltigkeit nicht nur bei Investoren, sondern auch bei den potenziellen Mietern und Käufern hoch im Kurs liegt. Neben der voranschreitenden Rohstoffknappheit wirkt sich auch die EU-Taxonomie und ESG positiv auf die Bau- und Sanierungsvorhaben der Branche aus. Wir sehen beispielsweise einen vermehrten Einsatz von Holz und Hybridbauprojekten, zudem keimt ein Bewusstsein für die Chancen, die mit dem Recycling von Baustoffen einhergehen. Wir bei Madaster haben es zu unserer Mission gemacht, eine funktionierende Kreislaufwirtschaft in der Bau- und Immobilienwirtschaft zu etablieren. Indem wir Materialien in unserem Onlinekataster exakt erfassen und deren Recyclingfähigkeit sowie Materialwert bestimmen, wollen wir eine Welt ohne Abfall ermöglichen. Allein in den Niederlanden sind aktuell schon mehrere tausend Gebäude mit einer Gesamtfläche von rund 12 Millionen Quadratmetern auf Madaster registriert. Seit unserem Start in Deutschland Anfang 2021 sind auch hierzulande bereits mehr als 100 Gebäude auf der Plattform registriert. Das Verständnis für Immobilien als Rohstoffbanken wächst branchenweit.
Die Bundesregierung plant künftig einen verpflichtenden Gebäuderessourcenpass. Wie könnte sich die generelle Einführung eines solchen Passes auf die Immobilienwirtschaft auswirken?
Dr. Patrick Bergmann: Wie bereits erwähnt, steigen die Preise für Baustoffe weiter an. Es soll sogar schon vorgekommen sein, dass nachts heimlich Strände weggebaggert wurden, weil Sand so schwer zu bekommen war. Kurz gesagt: Die drohende Rohstoffknappheit wird immer deutlicher. Gebäuderessourcenpässe können hier Abhilfe schaffen. Bisher ist es so, dass nach Fertigstellung einer Immobilie kaum noch jemand weiß, was wo und in welcher Menge verbaut wurde und das, obwohl alle Informationen während der Planung und des Baus zusammengetragen werden. Je öfter ein Gebäude den Eigentümer wechselt, desto weniger Informationen bleiben übrig. Beim Rückbau einer Immobilie weiß letztendlich niemand mehr, welche Materialien und Bauteile verwendet wurden. Recycling wird dadurch beinahe unmöglich und der Bauschutt als Sondermüll entsorgt. Mit einem Materialpass passiert genau das nicht. Zu jedem Zeitpunkt des Lebenszyklus einer Immobilie kann der aktuelle Materialwert sowie der Anteil der recyclingfähigen Stoffe auf Basis der Gebäudedaten berechnet werden. Besonders für die Immobilienwertbestimmung kann dies Auswirkungen haben. So spielen nicht mehr nur Lage, Zustand und Art der Immobilie eine Rolle, sondern auch der individuelle Materialwert.
Was genau muss sich ändern, damit eine Kreislaufwirtschaft in der Immobilienbranche möglich ist?
Dr. Patrick Bergmann: In erster Linie braucht es ein branchenweites Bewusstsein für die Vorteile der Kreislaufwirtschaft und auf technischer Seite benötigen wir digitale Daten. Für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Neubauten liegen die Gebäudedaten heute immer noch in analoger Form vor. Von Bestandsimmobilien wollen wir gar nicht erst reden. Damit die Kreislaufwirtschaft jedoch ihr volles Potenzial entfalten kann, brauchen wir eine solide, aber vor allem digitale Datenbasis. Die größte Aufgabe für die Branche ist damit das Vorantreiben der Digitalisierung. Dazu gehört unter anderem, dass beim Verkauf einer Immobilie alle vorhandenen Gebäude- und Materialinformation dem neuen Eigentümer vollständig übergeben werden. Aktuell ist es nämlich in der Regel so, dass bei jedem Verkauf Informationsteile verloren gehen, sodass am Ende des Lebenszyklus einer Immobilie kaum noch einer weiß, was wo und in welcher Menge verbaut wurde. Ein Rückbau und eine damit verbundene Rückführung der Materialen in den Wirtschaftskreislauf wird damit beinahe unmöglich.
In den Niederlanden scheint man da schon einen Schritt weiter zu sein. Dort ist das Thema Circular Economy bereits seit einigen Jahren präsent. Wie kommt es, dass unsere Nachbarn in diesem Bereich schon viel weiter sind und was können wir von ihnen lernen?
Dr. Patrick Bergmann: Der wesentliche Unterschied liegt vermutlich in der Mentalität der Niederländer. In Deutschland neigt man dazu, Ideen erst ausführlich und über Jahre hinweg intensiv zu prüfen, bevor etwas in einem Pilotprojekt tatsächlich ausprobiert wird. Unsere niederländischen Nachbarn sind da hingegen deutlich experimentierfreundlicher. Zudem hat die Regierung dort bereits vor einigen Jahren die Vorteile einer Kreislaufwirtschaft erkannt und fördert diese durch steuerliche Anreize und Subventionen. Kurz gesagt: Wir brauchen in Deutschland mehr Mut, Ideen ohne ewig lange Prüfung umzusetzen und eine Regierung, die Nachhaltigkeitskonzepte bewusst unterstützt und fördert. Nachhaltiges Planen und Bauen muss attraktiv sein und darf nicht mit finanziellen Nachteilen verbunden sein.
Zurück nach Deutschland. Wo liegen deiner Meinung nach die größten Herausforderungen für die Kreislaufwirtschaft in den kommenden Jahren? Und mit welchen positiven Effekten könnte man die Immobilienwirtschaft locken?
Dr. Patrick Bergmann: Die einfachste Möglichkeit, genaue Daten über verwendete Bauteile und Materialien zu erhalten, ist die konsequente Pflege eines BIM-Modells. Leider ist Planen mit BIM in Deutschland noch nicht flächendeckend verbreitet beziehungsweise der Mehrwert dieser Planungsmethode wird unterschätzt. Hier braucht es in den kommenden Jahren jede Menge Aufklärungsarbeit. Ich für meinen Teil würde mich freuen, wenn die Branche den Wert der Digitalisierung anerkennen und die zur Verfügung stehenden Tools tatsächlich nutzen würde. Wir brauchen in der Immobilien- und Bauwirtschaft ein gemeinsames Verständnis davon, was BIM leisten kann und welche Vorteile das akribische Dokumentieren aller Baustoffinformationen bietet. Bei einer Branche, die so kapitalorientiert ist, finde ich es immer wieder erstaunlich, dass dem Materialwert einer Immobilie bisher überhaupt keine Beachtung geschenkt wurde. So könnte künftig der individuelle Materialwert eines Gebäudes Einfluss auf die generelle Bewertung von Immobilien haben. Zudem wird im Rahmen der Nachhaltigkeitsreportings die CO2-Bilanz der Immobilienportfolios eine immer größere Rolle spielen, sodass Gebäude aus nachhaltigen Rohstoffen und einem hohen Recyclinganteil eine deutliche Wertsteigerung erfahren werden – auch international.
Über Madaster
Madaster wurde 2017 als Stiftung in den Niederlanden gegründet und verfolgt die Vision einer Welt ohne Abfall, durch die Etablierung einer echten Kreislaufwirtschaft im Bau- und Immobiliensektor. In Deutschland ist Madaster seit Anfang 2021 aktiv. https://www.madaster.de
Über den Autor
Dr. Patrick Bergmann ist seit 2020 Geschäftsführer bei Madaster Germany. Zuvor war er im Bereich Immobilien- und Unternehmensbewertung bei PwC in Berlin und Brüssel tätig und promovierte in Urban Environmental Management an der Wageningen University.
Über blackprint
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