"Die Lösung liegt im Bestand"
„Die Lösung liegt im Bestand“
Herr Muschter, seit einiger Zeit gibt es eine neue Edge-Strategie: „Brown to green“. Was haben wir darunter zu verstehen?
„Brown to green“ meint nichts weniger, als dass wir die Innovationskraft von Edge in Sachen Nachhaltigkeit und Klimaschutz inzwischen verstärkt nicht mehr nur im Neubau nutzen, sondern auch im Redevelopment von Bestandsgebäuden, um so aus Bauten mit schlechten Nachhaltigkeitswerten, „brown“, solche mit guten Nachhaltigkeitswerten zu machen, „green“. Der Grund dafür ist einfach: Bekanntlich ist unsere gebaute Umwelt für rund 40 Prozent der Klimagasemissionen verantwortlich. Setzen wir nun die Zahl bereits bestehender Gebäude auf diesem Planeten zur Zahl der Neubauten in Bezug, wird klar, dass wir die Klimaschutzziele nicht erreichen können, wenn wir uns nur darauf konzentrieren, Neubauten möglichst nachhaltig zu entwickeln. Vielmehr braucht es vor allem Lösungen für den Bestand. Hierzulande ist Edge bislang fast ausschließlich im Neubausektor aktiv gewesen, aber das wird sich ändern. In den Niederlanden, wo wir unseren Hauptsitz haben, machen solche Redevelopment-Projekte bereits einen großen Teil des Portfolios aus. Künftig werden wir insgesamt unseren Fokus mehr auf „brown to green“ als auf Neubau legen. Dass wir inzwischen häufig von Bestandshaltern angesprochen werden, die von unserer diesbezüglichen Expertise profitieren wollen, indem sie uns als Dienstleister hinzuziehen, zeigt, wie richtig wir damit liegen.
Also werden wir diesen neuen Ansatz demnächst auch in Deutschland erleben?
Selbstverständlich. Dafür ist es allerdings noch nötig, unsere Produktspezifikationen an die hiesigen Regularien anzupassen, also etwa in Bezug auf Brandschutz, Arbeitsschutzrichtlinien, Bauordnung und so weiter. Auf dieser regulatorischen Ebene ist bekanntlich in den Niederlanden alles nicht ganz so eng gefasst. Da wir bereits Studien für verschiedene Gebäude auf dem deutschen Markt machen, kann ich beispielsweise sagen, dass sich gerade der Brandschutz oft als Hindernis für ein wirtschaftlich umsetzbares Redevelopment erweist. In diesem Bereich wurden offensichtlich Vorgaben in den letzten 20 oder 30 Jahren so deutlich verschärft, dass manche Bestandsgebäude in ihrer ursprünglichen Form heute gar nicht mehr genehmigungsfähig wären.
Und wie sieht es in diesem Kontext mit dem zirkulären Bauen aus? In Refurbishment-Projekten wie EDGE Amsterdam West oder EDGE Olympic wurde ja auch stark auf den Einsatz von wiederverwerteten Materialien gesetzt.
In dem Bereich gibt es hierzulande vor allem haftungsrechtlichen Reformbedarf. Aktuell ist es so, dass Generalunternehmer zwar bereit sind, mit wiederverwertetem Material zu bauen, dafür dann aber nicht haften wollen und oft fehlen auch die notwendigen Zulassungen, um Recycling-Materialien auf breiter Fläche einzusetzen. Außerdem gilt es, auch kundenseitig das Bewusstsein für die ökologische Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen zu schärfen. Denn teilweise bedeutet Re-Use ja auch, dass der Kunde gewisse Abstriche machen muss. Nehmen wir Second Hand-Kleidung als Vergleich: Die kann toll aussehen und ihren Zweck erfüllen, zugleich ist sie günstiger und nachhaltiger, aber sie ist eben nicht neu.
Nun hat sich Edge über viele Jahre hinweg einen großen Ruf als Innovationstreiber nicht nur im digitalen, sondern auch im materiellen Bereich erarbeitet. Ist es da nicht widersprüchlich, zu sagen: Wir verbauen Teile, die nicht dem aktuellen Stand entsprechen?
Unserem hohen Innovationsanspruch bleiben wir auch im zirkulären Bauen treu. Nehmen wir Fenster als Beispiel: Da würden wir selbstverständlich niemals Teile verbauen, die bauphysikalisch nicht funktionieren oder gar beschädigt sind. Möglicherweise gilt es, Abstriche bei der Durchsichtqualität zu machen, weil ältere Fenster gemeinhin etwas matter sind. Aber das sind Fragen von Look and Feel und mithin reine Geschmackssache. Unsere Ansprüche an ökologische Nachhaltigkeit oder Energieeffizienz indes bleiben dieselben.
Und wie steht es im Redevelopment um moderne Arbeitswelten, also die Flexibilität von Flächen, wie sie heute geschätzt wird. Wird man auch in dem Bereich Abstriche machen müssen?
Bei den meisten Gebäuden hängt diese Frage einfach nur daran, wie weit man zurückbauen muss, um flexible Flächen möglich zu machen. Spätestens der Rohbau lässt in der Regel eine entsprechende Weiterentwicklung zu. Aber sicher gibt es auch Gebäude, bei denen das nicht machbar ist. Dann hat Redevelopment für uns keinen Sinn. Nicht einmal, wenn man einen konkreten Kunden hätte, der damit zufrieden wäre. Für Edge heißt Nachhaltigkeit, dass wir Bürogebäude schaffen wollen, die für die nächsten hundert Jahre sinnvoll genutzt werden können, ob nun durchgängig als Büro oder irgendwann vielleicht auch als Hotel oder Wohngebäude. Das gilt für die Weiterentwicklung des Bestands nicht weniger als für unsere Neubauprojekte. Deshalb sind flexible Flächen unabdingbar, um aus der ökologisch fatalen Abriss-Neubau-Spirale herauszukommen.
Recycling mag ein wichtiger Ansatz sein, um Bauen ressourcenschonender zu machen. Aber was bedeutet das für die Hersteller von Baustoffen?
Denen wird die Arbeit ganz sicher nicht ausgehen. Wenn wir die großen Aufgaben unserer Zeit ernstnehmen, nämlich ökologisches Bauen einerseits und andererseits die Bereitstellung einer ausreichenden Flächenzahl für Wohnen und Arbeit in den wachsenden Städten, dann kommen wir um zwei Themen gar nicht herum: Einerseits die Aufstockung des Bestands und andererseits dessen Verdichtung mittels Neubau. Hierfür wird weiterhin neues Baumaterial benötigt. Ohne vorhergehenden Abriss gibt es ja nichts, was man recyceln kann. Dennoch werden auch die Hersteller von Baustoffen im Sinne der Kreislaufwirtschaft umdenken müssen. Wenn diese in hochverarbeiteten Bauelementen vorkommen, verhindert das deren Recycling. Weil die verschiedenen Stoffe dann oft gar nicht mehr voneinander zu trennen sind oder man dafür viel zu viel Energie und Wasser verbrauchen müsste. Solche Materialien bei Madaster zu listen, ist im Prinzip sinnlos.
Wo wir bei Baumaterialien sind, gibt es diesbezüglich für Edge bestimmte Stoffe, die favorisiert werden? Holz zum Beispiel?
Holz ist insofern ein gutes Material, als es CO2 speichert. Außerdem empfinden Menschen Holz zumeist als sehr angenehm und wohnlich. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die Wälder hierzulande langsam absterben, weil sie zu wenig Wasser bekommen. Und dass ein neuer Baum, bis er zu Bauholz verarbeitet werden kann, rund 80 Jahre braucht. Holz aus anderen Erdteilen hierher zu verschiffen hingegen, ist letztlich auch wieder nicht nachhaltig. Das sind konkrete Punkte, die der massenhaften Nutzung von Holz entgegenstehen.
Zurück zum Redevelopment von Bestandsgebäuden: Würde ein gesetzliches Abrissverbot helfen, um den Markt in diesem ökologisch so sinnvollen Segment schneller voranzubringen?
Grundsätzlich sind wir im Bereich Nachhaltigkeit immer darauf angewiesen, dass der Regulator eingreift. Man sieht ja, dass die europäischen Bemühungen ökologische Verantwortung von der Immobilienbranche einzufordern, wie etwa mit der EU-Taxonomie und den damit verbunden ESG-Kriterien, durchaus Früchte tragen. Dadurch sind wir heute schon viel weiter als beispielsweise die USA, wo es solche Regularien nicht gibt. Wenn der Staat nun die Branche, die ja nicht nur bei CO2-Emissionen und Energieverbrauch ganz vorne mit dabei ist, sondern zudem noch 54 Prozent des weltweiten Abfalls produziert, auch in der Abrissfrage stärker in die Pflicht nähme, fände ich das erst mal begrüßenswert. Es ist ja tatsächlich so, dass man auch mit dem nachhaltigsten Neubau viele Jahrzehnte bräuchte, um das Minus in der Ökobilanz, das durch den Abriss des vorher dort stehenden Gebäudes verursacht wird, überhaupt zu kompensieren. Insofern ist es nur folgerichtig, die Hürden für den Abriss deutlich höher zu legen. Ihn grundsätzlich zu verbieten, halte ich hingegen für falsch. Es gibt ja auch Gebäude, die sich beim besten Willen nicht auf eine Weise weiterentwickeln lassen, die dafür sorgt, dass sie für die nächsten hundert Jahre sinnvoll genutzt werden können. Ob Wohnraum oder Büroflächen – das Hauptkriterium muss bleiben, Räume zu schaffen, in denen sich Menschen dauerhaft wohlfühlen. Nicht nur heute und morgen, sondern auch übermorgen noch. Unser Spezialfeld Digitalisierung bleibt insofern weiterhin ein ganz zentrales Thema – in der Projektentwicklung selbst wie auch im Gebäudemanagement und der individuellen Nutzung. Die Frage Neubau oder Redevelopment spielt in diesem Kontext eine eher untergeordnete Rolle.
Welchen Bedarf an neuen Tools und welche Chancen sehen Sie für PropTechs in diesem Kontext und in der aktuellen Marktlage?
Digital planen, bauen, managen ist die benchmark in der Immobilienwirtschaft. Dabei ist es wichtig, dass alle stakeholder auf die Daten Zugriff haben. PropTechs sehe ich hier als ausgelagerte Units, die Research & Development-Komponente der Real Estate-Branche. Den aktuellen Zyklus rate ich zur Konsolidierung zu nutzen, zur Bündelung der Kräfte. Denn wir haben noch zu viele Einzellösungen und Schnittstellen innerhalb einer Prozesskette. Was den Anwendern fehlt, sind komplette End-to-end-Prozesse. In der PropTech-Szene sind viele helle Köpfe unterwegs. Ich bin also gespannt auf viele neue, intelligente und hoffentlich auch ineinander greifende Lösungen.
• Joined EDGE in 2022
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• Managed an investment portfolio of EUR 35bnduring his time at Commerz Real